Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
ddd

Dienstag, 24. März 2015

An welche Geschichte ich beim Thema Griechenland denken muss

Da hat sich einer schon vor einigen Jahren so richtig reingeritten. Über seine Verhältnisse gelebt. Hat beispielsweise gestattet, dass sein Hausmeister, seine Müllabfuhr, sein Klempner und andere doppelt und dreifach kassieren. Hat – natürlich aus Gründen der Tradition und des Anstandes – sich eine Schar Popen gehalten, die zu nichts nutze waren, die er aber natürlich, aus Gründen der Achtung vor der Vergangenheit und der Kultur, bezahlte. Einschließlich der teuren Popenpaläste.

Hat sich einfach überschuldet, der Mann. Und jeder wusste das. Natürlich auch die, die ihn einluden, in ihren Verein einzutreten. Wenn er erst einmal im Verein drin wäre, könne er auch die Währung des Vereins nutzen. Er werde sehen, dass er dann bald noch besser leben könne.

Alle klopften sich beim Eintritt auf die Schulter, und der Vereinsvorsitzende lieh dem armen neuen Mitglied erst einmal eine Stange Geld, mit dem Hinweis, der müsse aber im Gegenzug sparen. Der Vereinsvorsitzende freute sich, denn – bei deftigen Zinssätzen – war recht bald eine Rückzahlung fällig. Deswegen brauchte der arme Mann neues Geld. Kein Problem, er müsse nur weiter sparen wollen. Der arme Mann verschuldete sich also immer weiter, er musste immer wieder zuerst die hohen Zinsen (deutlich höhere als jetzt üblich) und dann die Schulden-Raten zurückzahlen. Der Vereinsvorsitzende jedoch rieb sich in die Hände, machten er und seine Bank doch ständig gute Gewinne mit dem neuen, finanzschwachen Mitglied.

Nun aber rebellierten die Kinder und die Verwandten und die Freunde des armen Mannes, sie bestimmten einen neuen Interessenvertreter. Der ging zum Vereinsvorsitzenden und sagte: »Lieber Vereinsvorsitzender! Ich weiß, dass vieles in der Vergangenheit in meiner Familie nicht gut gelaufen ist. Das ist schlimm, aber dafür kann ich nichts. Aber es würde uns zugrunde richten, wenn ich immer neue Schulden aufnehmen soll, nur um die bisherigen zu bezahlen. Wir sind schon längst überschuldet, und eine rasant steigende Schuldenlast würde zum Zusammenbruch führen. Deswegen können wir nicht mehr zahlen.«

Der Vereinsvorsitzende, der seine finanziellen Felle wegschwimmen sah, reagierte böse und angriffslustig. Der neue Interessenvertreter solle sich gefälligst an die Abmachungen halten und zwei Dinge tun: zahlen und sparen. Vor allem zahlen.

Nun, liebe Leser, treten wir einmal ein paar Schritte zurück, um die Sache möglichst gut betrachten zu können.

Jeder Schuldnerberater würde in Sachen dieses überschuldeten Vereinsmitgliedes den Weg in eine geordnete Insolvenz empfehlen – mit dem Ziel, dass der arme Mann bald wieder, nach einigen Jahren, zu einem seriösen, wirtschaftlich auf sicheren Beinen stehenden Leben zurückfinden kann. Kein seriöser Schuldnerberater würde die Aufnahme weiterer Kredite empfehlen.
Im Gegenteil: Eine Bank, die hier neue Kredite empfiehlt oder gar unter Drohungen durchdrückt, würde wohl als unseriös gelten und sehr schnell ins Fadenkreuz der Verbraucherschützer geraten.

Soll dieser Fall also behandelt werden, als ginge es um immer wieder neue Bankgespräche zur Aufnahme neuer Kredite? Dies würde vor allem den Banken helfen und den Schuldner immer wieder reinreiten. Das wäre also keine Hilfe, und erst recht keine unter Freunden. (Es gibt aber im Vereinsvorstand eine ganze Reihe von Funktionsträgern, die heuchlerisch so tun, als sei ihre Vergabe von Krediten ein Freundschaftsdienst.)
Oder soll dieser Fall so behandelt werden wie die Insolvenz eines völlig überschuldeten Hilfesuchenden? Wie bei einer Privatinsolvenz würden dabei einige einiges Geld verlieren (vielleicht nicht so viel wie sie bis dahin gewonnen hatten), aber der arme Mann und dessen Familie hätte wieder eine Chance auf Zukunft. – Natürlich: Auch in diesem Fall müsste der Betroffene sparen. Das hätte auch Konsequenzen für die eingangs benannten Hausmeister, Klempner, Müllabfuhr und so weiter – und die Popen, die bisher aus dem Säckel des Überschuldeten lebten.

M. B.

Freitag, 20. März 2015

Christliches Abendland, Islam und der Orient

Plakativer Umgang mit Begriffen verschleiert die Realität



(Cordoba, Moschee La Mozquita innen. Foto: Hans Peter Schaefer, Wikipedia)


Christliches Abendland, Islam und der Orient – fast reflexartig werden diese Begriffe in den derzeitigen Diskussionen um die Frage, ob und wie der Islam zu Europa gehört, vor allem von Parteipolitikern im Munde geführt. Und sie werden häufig auch von Journalisten und Wissenschaftlern unkritisch übernommen. Im Sprachgebrauch wird dabei unterstellt oder unterschwellig nahegelegt, dass »Islam« und »Abendland« ein Widerspruch, dass das »Abendland« christlich und der »Orient« dem »Abendland« religiös und kulturell entgegengesetzt sei.

Die reale Geschichte Europas und der christlichen wird dabei ebenso außer Acht gelassen wie die der islamischen Kultur.

Das »Abendland« (damit ist West- und Mitteleuropa gemeint, im Gegensatz zum »Morgenland«) ist für viele Jahrhunderte ganz wesentlich von islamischer Kultur, von islamischer Kunst, Architektur und Wissenschaft, mitgeprägt.
Besonders in den Gebieten des heutigen Portugals und Spaniens war das an der Pracht der faszinierend ausgestatteten und nur durch ein Höchstmaß wissenschaftlichen Niveaus möglich gewordenen Moscheen beispielhaft sichtbar. Hier kann man durchaus davon sprechen, dass die damalige kulturelle Blüte Westeuropas bis ins 15. Jahrhundert hinein wesentlich von den Leistungen islamischer Kultur hervorgebracht beziehungsweise geprägt wurde. »Abendland« im eigentlichen Sinne und »Islam« gehörten damals für lange Zeit zusammen.

Mehr noch: Diese Blüte wurde teilweise durch politisches Kalkül aus dem Bereich der römischen Kirche zerstört. Im Zuge der schrittweisen Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Mächte der römischen Kirche vom 8. bis zum 16. Jahrhundert – zuvor gehörte beispielsweise Andalusien den Karthagern, Römern und Vandalen; das Christentum spielte kaum eine Rolle – wurden viele Moscheen zu christlichen Kirchen umgebaut.
Die einstige Hauptmoschee in Cordoba – al-Dschāmiʿ al-kabīr / Dschāmiʿ Qurṭuba – aus der Epoche des maurischen Spaniens (erbaut von 784 bis 987, kurz: La Mozquita) zählte zu den prächtigsten und spirituellsten Gebäuden Europas jener Zeit. Nachdem das faszinierende Gebäude der Dschāmiʿ Qurṭuba bereits 1236 zur christlichen Kirche geweiht worden war, begann im Jahre 1523 der entscheidende Umbau von Cordobas glanzvoller ehemaliger Hauptmoschee zur Kathedrale.
Die Umbauten stießen schnell auf den energischen Widerstand des Stadtrates und der Bevölkerung von Córdoba, konnten aber schließlich doch durchgesetzt werden, da der Habsburger Kaiser Karl V. (Karl I. von Spanien) letztlich den Umbau billigte. Als Karl V. jedoch das Ergebnis sah, soll er seine Umbau-Genehmigung bereut und gesagt haben: »Ihr habt etwas zerstört, was einmalig war, und habt stattdessen etwas hingesetzt, das man vielfach auch andernorts antreffen kann.« Leider hat Karl V. nach (kirchen)politischen Überlegungen entschieden, anstatt sich von seinem künstlerisch-fachlichen Urteilsvermögen leiten zu lassen. Die Moschee als Ganzes in ihrer einstigen überwältigenden Pracht war unwiederbringlich verloren.
Dies ist ein einprägsames Beispiel für den manchmal eingetretenen künstlerisch-kulturellen Rückschritt in Westeuropa durch die sich ausdehnende politische Macht der römischen Kirche.

Auch im Osten finden wir Beispiele dafür, dass die plakative, polarisierende Verwendung der Begriffe »Islam«, »Abendland«, »Orient« und »Christenheit« eher zur Verschleierung wirklicher Verhältnisse führt.
Byzanz wurde zwischen 326 und 330 vom römischen Kaiser Konstantin I. als neue Hauptstadt des römischen Reiches umgebaut (»Konstantinopel«). Die heute Istanbul genannte Stadt markiert den Beginn der sogenannten konstantinischen Wende, in deren Verlauf aus der einst staatlich diskriminierten und phasenweise blutig verfolgten christlichen Kirche eine zunächst geduldete, dann rechtlich privilegierte Institution und schließlich durch Theodosius (Kaiser von 379 bis 394 ) eine Reichskirche wurde. Mit anderen Worten: Der Aufstieg entstehender christlicher Institutionen zu einer Staatskirche, damit die enge Verbindung von weltlicher und christlich-kirchlicher Macht in Europa, begann nicht im »Abendland«, sondern im Osten, an den Toren zum Orient.

Die plakative Gegenüberstellung von »Abendland« und »Islam« sowie von »christlichem Abendland« und Orient ist zwar ein Lieblingsideologem der (meist CDU-nahen) Politik, spiegelt aber die historische Realität nicht angemessen wider. – Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem die Fremdenhetze kroch …

Mathias Bäumel

Mittwoch, 25. Februar 2015

Andreas Dresens Film »Als wir träumten« – was ich damals »träumte«, kann man hier lesen

Kürzlich feierte der neue Film von Andreas Dresen, »Als wir träumten«, in Leipzig Premiere. Dieser Film, der sich der Situation junger Leute unmittelbar nach der politischen Wende widmet, lief einige Tage vorher zur Berlinale 2015 im Wettbewerbsprogramm.

Im dazugehörigen Presseheft äußern sich Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen darüber, welche Träume sie in den Anfangsneunzigern hatten, welche Gefühle sie mit jener Zeit verbinden, welche Erinnerungen sie an damals haben.
Auch ich wurde gebeten, meine Träume von damals, meine Gefühle und Erinnerungen aufzuschreiben und für dieses Presseheft zur Verfügung zu stellen.

Einige dieser angeforderten Zuarbeiten schafften es dann doch nicht in das Heft, zu klein war der zur Verfügung stehende Platz und zu groß die Menge der Träume. Auch mein Beitrag fiel auf diese Weise raus.

Damit er nicht vergebens geschrieben wurde, veröffentliche ich ihn hier:

Am Nachmittag des 19. Dezember 1989, Dresden, Straße der Befreiung. Meine Kollegin – eine junge Punkerin – und ich verteilten selbst hektografierte Handzettel (ja, wir hatten im Büro ein Ormig-Gerät) an die in Richtung Hotel Bellevue strömenden Leute. Darauf stand: »Wer Helmut Kohl zujubelt, jubelt einem zu, der bis heute noch nicht die Oder-Neiße-Grenze anerkannt hat!« Wir wurden bedroht, beschimpft, junge, energische Männer wurden handgreiflich, man riss uns Packen der Handzettel aus den Händen, zündeten sie an oder warf sie in Papierkörbe. »Holt sie ja nicht dort wieder raus, sonst geht es euch an den Kragen!« Das war das Ende, bevor es überhaupt richtig anfing.

Aber es begann. Es begann die Zeit aufschwingender Euphorie ebenso wie die der sich krebsartig ausbreitenden Dummheit. Endlich konnte ich die richtigen Bücher lesen, die richtige Musik hören, wichtig scheinende Gedanken veröffentlichen. Und gleichzeitig wurde immer spürbarer, dass mein Leben bestimmt wurde vom dreisten Auftreten bestenfalls drittklassiger Kolonialverwalter.

Träume? Mein Traum war lange Zeit der von Wissen und Bildung als Möglichkeit, eine gutgemeinte, aber ziemlich übel gemachte Gesellschaft zu verändern. Um 1991 jedoch begann ich zu ahnen, dass Wissen und Bildung wohl mehr als Chancen zu begreifen sind, innerhalb einer üblen, aber attraktiv gemachten Gesellschaft eine kleine persönliche Heimat zu finden. Träume?

Eine knappe Generation später drängt sich mir ein Gedanke von Joseph Roth auf, den dieser in seiner Erzählung »Die Büste des Kaisers« zwar auf die Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gemünzt hatte, der mir aber auch heutzutage hilft, meine Beklemmungen zu formulieren: »Es war die Gesellschaft, die in allen Hauptstädten der allgemein besiegten europäischen Welt, unwiderruflich entschlossen, vom Leichenfraß zu leben, mit satten und dennoch unersättlichen Mäulern das Vergangene lästerte, die Gegenwart ausbeutete und das Zukünftige preisend verkündete.«


Mathias Bäumel

Freitag, 30. Januar 2015

Ein Zitat von Friedrich Dürrenmatt passt zur Situation, es passt aber auch immer

Das Zitat von Friedrich Dürrenmatt zur gegenwärtigen Situation, das, genau betrachtet, immer gilt. Es wird bloß immer »vergessen«. Dabei meint »bewachen« natürlich »überwachen«. Gefunden im ARTE-Magazin Februar 2015, Seite 6:

Dienstag, 20. Januar 2015

Hinter welcher Fahne lauf ich her? Die 19 Punkte von Pegida etwas genauer betrachtet

Wer bei Pegida mitmarschiert, sollte das 19-Punkte-Programm dieses Vereins kennen. Schließlich muss man wissen, wofür und wogegen man demonstriert.
Dieses »Programm« ist mittlerweile an vielen Stellen zugänglich gemacht, seine Veröffentlichung im Focus enthält nützliche Erläuterungen und Kommentare.

Sichtbar wird dabei, dass eine ganze Reihe dieser Punkte dieselben Ziele verfolgt, wie sie in deutschen Gesetzen oder in Zielaussagen von Politikern formuliert sind.

Bei einigen weiteren scheint unklar, wie die Punkte gemeint sind.
Beispielsweise ist dem Focus unklar, warum die im Punkt 7 aufgemachte Forderung nach mehr Mitteln für die Polizei formuliert wurde, obwohl doch die Zahl der Straftaten in Deutschland insgesamt nicht angestiegen sei.
Ähnlich verhält es sich mit der im Punkt 8 aufgestellten Forderung, nach der die vorhandenen Gesetze zum Thema Asyl und Abschiebung ausgeschöpft und umgesetzt werden sollten. Dem Focus ist diese Forderung unklar, weil mit der aktuell steigenden Zahl von Asylbewerbern auch die Zahl der Abschiebungen gestiegen sei.

Mit einigen weiteren Punkten kann man jedoch nicht einverstanden sein.

Im Punkt 9 ist formuliert: »Pegida ist für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten!«
Damit scheint die Biertisch-Forderung gemeint, man solle jeden Ausländer, der im Supermarkt eine Semmel geklaut hat, sofort abschieben. »Gleich raus mit diesen Leuten!«, höre ich hier den Nationalbürger kreischen.
Eine solche Forderung jedoch ist nicht akzeptabel. Wer so etwas unterstützt, wendet sich gegen demokratische Verhältnisse. Der Focus schreibt dazu: »Das deutsche Strafgesetzbuch toleriert Straftaten an keiner Stelle. Das Gesetzbuch unterscheidet dabei nicht, ob sie von einem Migranten oder einem Deutschen begangen werden.« Wenn ein arbeitsloser deutscher Tischler nach Schweden geht und dort Arbeit findet, will er als Migrant doch auch wie jeder Schwede rechtlich gleichbehandelt und nicht mit einem anderen, strengeren Strafmaß gemessen werden.

Im Punkt 10 klingt einseitig die Forderung an, Muslime haben sich zu integrieren. Integration jedoch ist ein gegenseitiger Prozess, die deutsche Gesellschaft muss die Muslime auch integrieren wollen und Angebote machen.
Zudem fehlt eine Erläuterung, was genau Pegida mit »Integration« meint. Geht es um »Muslime«, um Asylbewerber gleich welcher Religion oder generell um hier lebende Nichtdeutsche? Und wie soll »Integration« gelingen, wenn es für die, die bleiben dürfen, zu wenig Deutsch-Lern-Angebote und zu wenig Jobs gibt?

Absolut inakzeptabel ist der Pegida-Punkt 13. Dort ist formuliert: »Pegida ist für die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur!«
Hier wird – historisch völlig falsch – die über teils Jahrtausende währenden Kulturleistungen des Islam für die europäische Kultur ignoriert, ja ausgeschlossen und damit provokativ abgewertet.
Man darf aber nicht vergessen, dass unsere europäische Kultur im Laufe ihrer Geschichte entscheidend mitgeprägt wurde durch außerordentliche Leistungen aus dem Kulturbereich des Islam, so besonders in Wissenschaft, Medizin, Technik, Politik, Literatur und Kunst! Dabei spielte der Islam nicht nur als Schöpfer eigener Leistungen eine Rolle, sondern auch als Erneuerer alter antiker Kulturleistungen und Überbringer antiker Werte bis in die europäische Renaissance-Zeit hinein. Ohne Islam kein Europa, wie wir es heutzutage vorfinden – diese verkürzte Formulierung bringt die Situation wirklich realistisch auf den Punkt!
Das beginnt ganz simpel damit, dass wir arabische Zahlen schreiben, und führt bis dahin, dass einige Gesellschaften und Staaten, die für unser Europa-Verständnis grundlegend sind, über eine teils mehr als tausend Jahre währende und bis in die Gegenwart reichende gemeinsame Geschichte jüdischer, christlicher und muslimischer Kulturbegegnungen verfügen, so Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland und die Türkei. Europa ist keineswegs nur Nordeuropa.

Zudem bleibt bei den Propagandisten des »christlichen Abendlandes« regelmäßig unerwähnt, dass eine ganze Reihe europäischer Kulturerrungenschaften zwar grundsätzlichen christlichen Haltungen entsprechen, aber real mühevoll im Kampf gegen die Kirche errungen werden mussten – als Beispiele sollen hier nur kurz die Erfolge in den Naturwissenschaften (Beispiel-Stichwort Galileo Galilei) und die Einführung der Schulpflicht angeführt werden.

Dabei steht auch die Frage, welche Rolle die Verkirchlichung der christlichen Religion für den kulturellen Fortschritt und für kriegerische Aktionen unter dem Etikett des Religiösen spielte – immerhin waren die Kreuzzüge unter dem Dach der Römischen Kirche die ersten folgenreichen Gewaltexzesse und Kriege im Namen einer Religion nach dem Jahre Null.

So wenig wie man die Diskriminierung muslimischer Kulturleistungen für Europa durch Pegida akzeptieren darf, so sehr sucht man bei Pegida die Erkenntnis vergeblich, dass unsere europäische Kultur auf einem Miteinander-Verflochtensein verschiedener Religionen und deren Leistungen, auf der Aufklärung sowie auf dem ständigen Kampf gegen die weltlichen Machtansprüche religiöser – muslimischer wie auch christlicher – Institutionen beruht.
Wer dieses ahistorische, einseitige Geschichtsbild Pegidas unterstützt, positioniert sich gegen – nicht für – Europa.

Auch der Punkt 14 ist nicht akzeptabel: »Pegida ist für die Einführung von Bürgerentscheidungen nach dem Vorbild der Schweiz!«
Das würde die Politiker von ihrer Verantwortung noch mehr entlasten. Ohnehin müssen Politiker schon jetzt viel zu wenig Verantwortung für ihr Tun übernehmen und Konsequenzen für ihr Tun und Lassen tragen – übrigens ganz anders als beispielsweise klein- und mittelständische Unternehmer. »Verantwortung übernehmen« heißt nicht, nach einem Skandal den Posten zu räumen und nach einer gewissen Zeit einen neuen einzunehmen! Konsequenzen zu tragen hieße durchaus auch, entstandenen Schaden finanziell wieder gutzumachen.
Ein Abschieben der Verantwortung auf »das Volk« würde Politiker also nur noch mehr Möglichkeiten für ihr verantwortungsloses Tun bieten. Und es würde, gerade in Zeiten der manipulierenden Medienlandschaften, dem Un-, Halb- und Falschwissen bei politischen Entscheidungen Tür und Tor noch weiter öffnen.

In einem Punkt von Pegida kann man voll und ganz mitgehen – im Punkt 17: »Pegida ist gegen dieses wahnwitzige ›Gender Mainstreaming‹, auch oft ›Genderisierung‹ genannt, die nahezu schon zwanghafte, politisch korrekte Geschlechtsneutralisierung unserer Sprache!«
Wohlgemerkt: Es geht hier nicht gegen Gleichberechtigung, nicht gegen Selbstbestimmtheit und Menschenwürde! Sondern es geht gegen den aktionistisch aufgeladenen, symbolpolitischen Übereifer, der – absichtsvoll? – wirkliche Gleichberechtigung behindert, kritisches Denken ideologisch abbügelt und Sprache deformiert.

Über das Ganze gesehen jedoch gilt: Auch wenn eine ganze Reihe von Pegida-Punkten akzeptabel und einzelne sogar zu begrüßen sind, wäre es falsch, für diesen Punktkatalog insgesamt und damit für Pegida auf die Straße zu gehen. Ganz besonders die diskriminierende und ahistorische Ausgrenzung des Islam aus Europa, die de-facto-Forderung nach Entlassung der Politiker aus der Verantwortung für ihr Tun und die Forderung nach Teilung des (Menschen-)Rechts in Bessere (Deutsche) und Schlechtere (Migranten) sind Attacken gegen die europäische Demokratie.

M. B.

Montag, 19. Januar 2015

Bürger fordern Kompetenz, Verantwortung und Ehrlichkeit in Politik und Medien: Bükovepome

Eine erste, deutschlandweit beachtete Studie zum Thema Pegida (aus dem Institut für Politikwissenschaften der TU Dresden) hatte ergeben, dass das Hauptmotiv für die Teilnahme an Pegida-Demonstrationen eine generelle »Unzufriedenheit mit der Politik« sei. An zweiter Stelle wird dort die Kritik an Medien und Öffentlichkeit genannt. Lediglich zu knapp einem Viertel – damit drittrangig – seien die Teilnehmer dieser Studie zufolge durch »Islam, Islamismus oder Islamisierung« motiviert.

Das jedoch störte Günther Jauch bei seiner Sendung am gestrigen 18. Januar nicht – immer wieder versuchte er der Pegida-Frau Kathrin Oertel eine Antwort auf die Frage zu entlocken, wieso die Pegida-Ideologen angesichts eines Moslem-Anteils an der sächsischen Bevölkerung von etwa 0,5 Prozent von einer Gefahr der »Islamisierung« sprechen. Offenbar hatte Jauch die besagte Studie bei der Vorbereitung der Sendung ignoriert, so dass er selbst auf die viel heißeren Themen der Politiker- und Medienverdrossenheit nur am Rande einging.

Von Oertel kamen nur Üblichkeits-Sprachhülsen und es war eigentlich beängstigend, welch versimpeltes und dümmliches Weltbild diese Frau offenbarte, aber Jauch war nicht in der Lage, darauf inhaltlich konstruktiv einzugehen – weder mit eigenen Worten noch mit der Diskussionsführung.

So blieben Oertels Behauptungen über den angeblich islamisierten Zustand der französischen Gesellschaft ebenso unkommentiert wie der süffisant vorgebrachte Hinweis, dass man in Deutschland ja auch gegen die Abholzung des Regenwaldes demonstriere, obwohl es hier gar keinen Regenwald gäbe. (Warum also nicht gegen eine nicht vorhandene Islamisierung, sollte das wohl heißen ...)

So war es lediglich Frank Richter, gegenwärtig Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, der immer wieder auf die eigentlichen Probleme, die Versäumnisse und Fehler deutscher Politiker (auch Angela Merkels), verwies, der jedoch gleichzeitig einen echten Dialog anstelle des einseitigen Sprechens über die jeweils Anderen einforderte. Wiederholt machte Richter den Vorschlag in Richtung Oertel, die Bewegung solle sich doch anders nennen, denn ihr derzeitiger Name widerspiegele überhaupt nicht das, was Pegida repräsentiere, und führe deshalb die Öffentlichkeit in die Irre.

Die Idee kann qualifiziert werden. Wie wäre es mit »Bürger fordern Kompetenz in Politik und Medien« (Bükopome)? Das könnte die Noch-Pegida-Leute und deren Gegendemonstranten zusammenführen. Denn genau das ist es doch, was alle wollen: Kompetenz in Politik und Medien. Aber das wäre wohl noch nicht alles. Eigentlich müsste es heißen: Bükovepome – Bürger fordern Kompetenz, Verantwortung und Ehrlichkeit in Politik und Medien. Oder?

Freitag, 16. Januar 2015

Lügenpresse – Wahrheitspresse? – Gedanken zum Wirken einiger Medien in Sachen Prinz Eugen

Lügenpresse – Wahrheitspresse? Im Spiegel Online steigen Gesa Mayr und Veronika Wulf in ihren Arikel zum Thema »Verhindertes Flüchtlingsheim in Dresdner Hotel« mit folgender Formulierung ein: »Direkt an der Elbe in Dresden liegt der Stadtteil Laubegast, Villa reiht sich an Villa, Vorgarten an Vorgarten. Es ist ein Viertel für Menschen, denen es gut geht. Ein Viertel für jene, die sich Idylle leisten können.« So diffamiert man pauschal Menschen – offenbar mit dem Ziel, Laubegaster Einwohner hinzustellen als Privilegierte, die weder finanzielle Sorgen haben noch den sozialen Spannungen einer Großstadt ausgesetzt sind und die dennoch – so die sich assoziativ einstellende Schlussfolgerung – Flüchtlingen nicht helfen wollen.

Die Spiegel-Damen formulieren geschickt und sicher absichtlich – aber an der Realität vorbei. Denn in Laubegast reiht sich nicht Villa an Villa, nicht Vorgarten an Vorgarten. Es gibt in Laubegast nur wenige Villen, aber dafür einige Einheitsbauten aus der Zeit des Realsozialismus, es gibt, entlang des Elbufers, kleine Häuser, die an frühere Fischer- und Treidler-Ärmlichkeit erinnern und die immer wieder bei Hochwasser »absaufen«, es gibt – vor allem entlang der donnernden Straßenbahnlinie – Stadtmietshäuser, deren Keller ebenfalls hochwassergefährdet sind, und es gibt sowohl sehr beengte Siedlungshäuslein aus der Zwischenkriegszeit als auch ein hässliches Nachwende-Neubaugebiet. – Was soll also die süffisante Bemerkung vom Viertel für jene, die »sich Idylle leisten können«?

Des Weiteren machten in den Medien Angaben zu Schmierereien am Hotel Prinz Eugen die Runde – so beispielsweise »asylkritischen Schmierereien am Hotel« (MDR), »mindestens (Herv. M. B.) eine Schmiererei am Hotel hat er dokumentiert« (Spiegel Online), in der FAZ war die Rede von »von Schmiererein übersät« ...

Die Wahrheit jedoch ist: Es gab genau eine Schmiererei am Hotel – an jenem Tag, nachdem die Umwidmung des Hotels zum Heim bekanntgegeben worden war. Und diese Schmiererei ist binnen eines Tages übertüncht worden.

Es fällt auf, dass diese falschen Aussagen, also das Märchen von vielen Schmierereien oder gar vom Übersätsein des Hotels, auch in anderen Medien auftauchen, also ungeprüft genutzt wurden.

Natürlich ist schon eine einzige Schmiererei dieser Art, egal wo, eine zuviel. Aber müssen Schreiberlinge rassistische Äußerungen und Asylbewerberskepsis in Dresden unbedingt »publizistisch vergrößern«, nur weil deren realen Ausmaße ihnen nicht groß genug sind, um ihr eigenes, vorgefertigtes Argumentationsmräderwerk in Gang setzen zu können? Und müssen Einwohner eines Stadtteils tendenziös als in gewisser Weise privilegiert vorverurteilt werden, nur um deren Meinungen und Verhalten als besonders unmoralisch darstellen zu können? Hier wird genau das getan, was anderen – beispielsweise bei der Verwendung des Begriffes »Lügenpresse« – vorgeworfen wird: Pauschalierung und Konfrontation.

Dass sich dabei fast niemand in den Medien ernsthaft mit den konkreten Inhalten der Petition der Initiative Mein Laubegast beschäftigt hat, kennzeichnet die Situation der deutschen Medienlandschaft. Mit der Verleihung des Titels »Unwort des Jahres« für das Wort Lügenpresse hat man diese Situation nicht besser gemacht.

M. B.