Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
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Montag, 1. Juli 2019

Antirussland-Politik nutzt Deutschland und Europa nicht, aber den USA

Miteinander Handel treiben schafft mehr Sicherheit als Konfrontationen

Satellitenbild der Krim. Quelle: Wikipedia/NASA

Eigentlich ist es – mal mehr, mal weniger deutlich – ein Dauerthema, wird jedoch in diesen Tagen durch Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer besonders diskutiert: Das Verhältnis Deutschlands zu Russland.

Versucht man, dem Thema beizukommen, ohne dass man gleich, wie leider in unserer Gesellschaft der Zeichensetzerei üblich, ideologisch diffamiert wird, kann man erkennen, dass eine engere Verbindung zwischen beiden Staaten und Wirtschaftsräumen für Deutschland und letztlich für Europa große Vorteile und größere Stabilität erbringen könnte. Um im weltumspannenden Wettbewerb mit dem US-amerikanischen und dem Fernost-Wirtschaftsraum nicht noch mehr ins Hintertreffen zu geraten und weiter marginalisiert zu werden, ist eine Allianz zwischen Deutschland, ja sogar Europa einerseits und Russland andererseits ein prüfenswerter Gedanke, birgt eine Chance. Die Verbindung zwischen – kurz gesagt – deutscher Technologie und russischen Ressourcen ermöglicht nicht nur wirtschaftliche Entwicklung mit großem Potenzial, sondern auch mehr politische Stabilität und die Ausweitung demokratischer Verhältnisse. Wer mehr miteinander Handel treibt, schafft mehr Sicherheit als der, der Konfrontationen stärkt.

Genau das jedoch steht US-amerikanischen Interessen entgegen. Nach Angaben von George Friedman, Chef des privaten US-Geheimdienstes Strategic Forecasting, Inc. (Stratfor), berge eine Allianz zwischen Russland und Deutschland das für die US-amerikanische Wirtschaft gefährlichste Potenzial in sich.
Verfolgt man die US-amerikanische Außenpolitik, kann man erkennen, dass diese im Laufe er Zeit immer wieder auch darauf gerichtet war, ein Zusammengehen Deutschlands und Russlands zu verhindern. So habe auch die Intervention der Amerikaner in der Ukraine den Zweck verfolgt, eine Allianz zwischen Russland und Deutschland unmöglich zu machen. Überhaupt gehöre, folgt man Friedman, das Eingreifen in anderen Staaten zur Sicherheits-Doktrin der Amerikaner.
In Sachen Krim machen die USA und die EU Russland vor allem scheinheilig den Vorwurf, dass erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg militärische und paramilitärische Gewalt dazu geführt habe, Grenzziehungen und damit Staatsterritorien zu verändern. Eine verlogene Behauptung, die im allgemein anti-russischen Klima der westlichen Welt ungeprüft und allzu leicht wiederholt wird. Stratfor-Geheimdienstchef Friedman in den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: »Die Amerikaner wissen, dass dies völliger Unsinn ist. Die erste Änderung der Grenzen unter Anwendung von Gewalt fand in Jugoslawien statt. Im Kosovo erreichte dieser Prozess seinen Höhepunkt und die USA waren an diesen Ereignissen direkt beteiligt.

Als Anfang 2014 Kanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier die Ernennung des ehemaligen Boxweltmeisters Witali Klitschko zum stellvertretenden Ministerpräsidenten der Ukraine favorisierten (und die EU diese Idee unterstützte), machte die Sonderbeauftragte des US-Außenministeriums Victoria Nuland (berüchtigt durch das abgehörte Telefonat mit dem Nuland-Ausspruch »Fuck the EU!«) die US-Interessen sehr deutlich. Die USA hielten den Oppositionsführer Arseni Jazenjuk für besser geeignet. Er war finanzpolitisch sehr Bank-erfahren, war bereits schon einmal Wirtschaftsminister und könnte daher den amerikanischen Konzernen zu lukrativen Deals verhelfen. Und die USA setzten sich durch: Der Nato-freundliche Jazenjuk wurde Premier, Natalja Naresko, zuvor schon eine US-Investmentbankerin und in den Neunziger-Jahren sogar Mitarbeiterin des US-Außenministeriums, wurde seine Finanzministerin.
Dies nur skizzenhaft als Hinweis, wie sich die USA in der Ukraine für eigene Interessen, gegen den deutschen und den russischen Einfluss engagieren und dabei das – historisch gesehen noch junge – ukrainische Nationalbewusstsein nutzen.

Zu eine Art ukrainischer Nationalbewegung kam es nämlich erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Von einem ukrainischen Volk oder einem ukrainischen Staat war also bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kaum oder überhaupt keine Rede. Salopp gesagt, gehörte das Gebiet der heutigen Westukraine zu Polen bzw. Österreich und das viel größere Gebiet der heutigen Ostukraine zu Russland.
Einige von Joseph Roths Texten erzählen anschaulich von Ereignissen und Geschichten an der österreichisch-russischen Grenze.

Die Ukrainische Volksrepublik (1917 bis 1920) wurde nach den Ereignissen der Februarrevolution 1917 auf jenen ukrainischen Gebieten gegründet, die bis dahin zum Russischen Reich gehört hatten. Hauptstadt war Kiew.

Nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns am Ende des Ersten Weltkrieges entstand auf den ehemals österreichischen Gebieten Ostgaliziens, der Nord-Bukowina und Transkarpatiens die kurzlebige Westukrainische Volksrepublik (1918 bis 1919), deren Hauptstadt zunächst Lemberg (heute Lwiw), dann Stanislau (heute Iwano-Frankiwsk) wurde.

Am 22. Januar 1919 wurde die Vereinigung der beiden Volksrepubliken beschlossen.
Dass heute die Trennlinie – grob betrachtet – zwischen der russlandskeptischen Westukraine und der eher prorussischen Ostukraine in etwa dem früheren Grenzverlauf zwischen Österreich und Russland entspricht, sollte nicht übersehen werden.

Im Zuge der Entstehung der Sowjetunion wurde dann im Dezember 1922 die Ukrainische SSR gegründet. Es begann eine bis 1931 anhaltende staatliche Politik der Ukrainisierung, die die ukrainische Sprache förderte und den Anteil von Ukrainern in der Kommunistischen Partei und den Behörden vergrößerte. Die im Laufe der Jahre immer größer werdende politische und kulturelle Rolle der Ukraine hat das Land also zu bedeutenden Teilen der sowjetischen Politik, also Stalin, zu danken. Und etwas später mit dem Zugewinn der Krim einer, vermutungsweise, Wodka-Laune Chrustschows.

Denn bis 1954 gehörte das Gebiet der heutigen Krim zum Osmanischen, dann zum Russischen Reich. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1954 war die Krim ein Verwaltungsbezirk der Russischen Föderation, im Jahre 1954 hatte Nikita Chrustschow, gerade Chef der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) geworden, die Krim aus der Russischen Förderation herausgerissen und der Ukraine geschenkt. Er hat damit – staatsrechtlich gesehen – die Verfassung der Russischen Föderation (RSFSR), die die territoriale Integrität des Vaterlandes zu wahren verpflichtete, und weitere Rechtsvorschriften gebrochen.

Juristisch und politisch gesehen hätten der Oberste Sowjet in Moskau und der in Kiew diesem Vorgang zustimmen müssen. Es gab aber, rechtswidrig, nur eine Abstimmung der entsprechenden Präsidien, und auch die waren zeitweise unterbesetzt, also nicht legitimiert. Ein Funktionär, der gegen diesen Rechtsbruch protestierte, wurde gefeuert.

Die deutsche Historikerin Gwendolyn Sasse beschrieb in ihrer Veröffentlichung »The Crimea Question« (Die Krim-Frage), bei deren Erscheinen 2007 sie an der berühmten Universität Oxford beschäftigt war, diese unrechtmäßigen Vorgänge und deren Interpretationen. Weder unmittelbar nach dem Willkürakt Chrustschows 1954 noch nach Sasses Buchveröffentlichung protestierten internationale Politik und Medien gegen diese damalige Verschiebung der Krim-Zugehörigkeit und der Art und Weise des Zustandekommens, allenfalls am Rande.

Zumindest nach dem Erscheinen der Sasse-Veröffentlichung 2007 war klar, dass der Willkür-Akt Chrustschows heutzutage dem Westen nützlich sein kann in dem Bestreben, Russland zu isolieren und dessen Einflussgebiet zurückzudrängen.
Dass sich damit Deutschland und Europa langfristig eher schaden als nutzen, sollte die hiesige Politik endlich begreifen.

Mathias Bäumel