Dresden: Die Waldschlösschenbrücke ist flacher und anschmiegsamer als das Blaue Wunder. (Maßstabgerechter Silhouettenvergleich: Henry Ripke Architekten).
ddd

Freitag, 24. Juli 2015

Ideologeme sollen verschleiern, dass der Islam schon historisch gesehen zu Europa gehört

Christliches Abendland, Islam und der Orient – fast reflexartig werden diese Begriffe in den derzeitigen Diskussionen um die Frage, ob und wie der Islam zu Europa gehört, vor allem von Parteipolitikern im Munde geführt. Und sie werden häufig auch von Journalisten und Wissenschaftlern unkritisch übernommen. Im Sprachgebrauch wird dabei unterstellt oder unterschwellig nahegelegt, dass »Islam« und »Abendland« ein Widerspruch, dass das »Abendland« christlich und der »Orient« dem »Abendland« religiös und kulturell entgegengesetzt sei. Die reale Geschichte Europas und der christlichen wird dabei ebenso außer Acht gelassen wie die der islamischen Kultur.

Das »Abendland« (damit ist West- und Mitteleuropa gemeint, im Gegensatz zum »Morgenland«) ist für viele Jahrhunderte ganz wesentlich von islamischer Kultur, von islamischer Kunst, Architektur und Wissenschaft, mitgeprägt.
Besonders in den Gebieten des heutigen Portugals und Spaniens war das an der Pracht der faszinierend ausgestatteten und nur durch ein Höchstmaß wissenschaftlichen Niveaus möglich gewordenen Moscheen beispielhaft sichtbar. Hier kann man durchaus davon sprechen, dass die damalige kulturelle Blüte Westeuropas bis ins 15. Jahrhundert hinein wesentlich von den Leistungen islamischer Kultur hervorgebracht beziehungsweise geprägt wurde. »Abendland« im eigentlichen Sinne und »Islam« gehörten damals für lange Zeit zusammen.

Mehr noch: Diese Blüte wurde teilweise durch politisches Kalkül aus dem Bereich der römischen Kirche zerstört. Im Zuge der schrittweisen Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Mächte der römischen Kirche vom 8. bis zum 16. Jahrhundert wurden viele Moscheen zu christlichen Kirchen umgebaut.
Die einstige Hauptmoschee in Cordoba – al-Dschāmiʿ al-kabīr / Dschāmiʿ Qurṭuba – aus der Epoche des maurischen Spaniens (erbaut von 784 bis 987, kurz: La Mozquita) zählte zu den prächtigsten und spirituellsten Gebäuden Europas jener Zeit. Nachdem das faszinierende Gebäude der Dschāmiʿ Qurṭuba bereits 1236 zur christlichen Kirche geweiht worden war, begann im Jahre 1523 der entscheidende Umbau von Cordobas glanzvoller ehemaliger Hauptmoschee zur Kathedrale.
Die Umbauten stießen schnell auf den energischen Widerstand des Stadtrates und der Bevölkerung von Córdoba, konnten aber schließlich doch durchgesetzt werden, da der Habsburger Kaiser Karl V. (Karl I. von Spanien) letztlich den Umbau billigte. Als Karl V. jedoch das Ergebnis sah, soll er seine Umbau-Genehmigung bereut und gesagt haben: »Ihr habt etwas zerstört, was einmalig war, und habt stattdessen etwas hingesetzt, das man vielfach auch andernorts antreffen kann.« Leider hat Karl V. nach (kirchen)politischen Überlegungen entschieden, anstatt sich von seinem künstlerisch-fachlichen Urteilsvermögen leiten zu lassen. Die Moschee als Ganzes in ihrer einstigen überwältigenden Pracht war unwiederbringlich verloren.

Dies ist ein einprägsames Beispiel für den manchmal eingetretenen künstlerisch-kulturellen Rückschritt in Westeuropa durch die sich ausdehnende politische Macht der römischen Kirche.

Im Zusammenhang mit der schrittweisen Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Mächte der katholischen Kirche ab dem 8. Jahrhundert muss klargestellt werden, dass es sich dabei keineswegs um eine »Rück«-Eroberung gehandelt hat, wie das häufig verfälschend formuliert wird. Denn das Christentum spielte vor der arabischen Eroberung dieser Region, die den Karthagern, Römern und Vandalen gehörte, zunächst keine bedeutende Rolle. Folgt man Peter Brown und dessen Buch »Die Entstehung des christlichen Europa«, dürfte der Anteil der Christen an der damaligen Gesamtbevölkerung der Iberischen Halbinsel im 4. Jahrhundert kaum mehr als etwa fünf bis zehn Prozent gewesen sein. Brown zufolge hat der westgotische Staat den Katholizismus als Religion im Jahre 589 angenommen; erst ab diesem Zeitpunkt begann mit Hilfe dieses »staatlichen Rückenwindes« eine deutlich spürbare Christianisierung breiter gesellschaftlicher Bereiche.

Als die Araber kurze Zeit später, im Jahre 711, dieses westgotische Königreich zum Zusammenbrechen brachten, eroberten sie also Gebiete, in denen zuvor für lange Zeit ein Gemisch verschiedener Kulturen und Religionen lebte und in denen erst seit kurzem das Christentum an Einfluss gewann.

Die spätere schrittweise Vertreibung der Araber und die Eroberung des iberischen Raumes durch Mächte der katholischen Kirche als »Rück«-Eroberung darzustellen, ist ein ideologischer Trick. Damit soll eine Eroberung nicht als Eroberung, sondern als gerechte Befreiung von einem Joch dargestellt, die Zugehörigkeit des südwestlichen Europas zum katholischen Machtkreis gewissermaßen zeitlich vorverlegt und die bis dahin enge Beziehung zwischen »Abendland« und »Islam« verdeckt werden.

Auch im Osten finden wir Beispiele dafür, dass die plakative, polarisierende Verwendung der Begriffe »Islam«, »Abendland«, »Orient« und »Christenheit« eher zur Verschleierung wirklicher Verhältnisse führt.
Byzanz wurde zwischen 326 und 330 vom römischen Kaiser Konstantin I. als neue Hauptstadt des römischen Reiches umgebaut (»Konstantinopel«). Die heute Istanbul genannte Stadt markiert den Beginn der sogenannten konstantinischen Wende, in deren Verlauf aus der einst staatlich diskriminierten und phasenweise blutig verfolgten christlichen Kirche eine zunächst geduldete, dann rechtlich privilegierte Institution und schließlich durch Theodosius (Kaiser von 379 bis 394 ) eine Reichskirche wurde. Mit anderen Worten: Der Aufstieg entstehender christlicher Institutionen zu einer Staatskirche, damit die enge Verbindung von weltlicher und christlich-kirchlicher Macht in Europa, begann nicht im »Abendland«, sondern im Osten, an den Toren zum Orient.

Nicht vergessen werden sollte auch, dass es im Jahre 1204 eine Allianz von (römisch-christlichen) Kreuzfahrern und Venezianern war, die das christlich-orthodoxe Konstantinopel, bis dahin religiöses und politisches Machtzentrum, plünderten und einnahmen. Viele Einwohner der kosmopolitischen Metropole wurden dabei getötet. Zahlreiche Monumente wurden zerstört, großartige Kunstwerke wurden vernichtet oder geraubt, etliche Bibliotheken niedergebrannt und eine große Anzahl der in Konstantinopel aufbewahrten Heiligenreliquien entwendet und über ganz Europa verstreut. Von dieser Zerstörung und Plünderung durch die Venezianer und Kreuzfahrer erholte sich das christlich-orthodoxe Konstantinopel im restlichen Verlauf des Mittelalters nicht wieder – eine entscheidende Voraussetzung für den Beginn des Siegeszuges osmanischer Truppen unter Osman I. ab 1326; im Jahre 1453 konnte Mehmed II. die einstige christliche Hochburg einnehmen. In heutiger, etwas vereinfachter Wortwahl: Das »Abendland« schoss eine der bis dahin mächtigsten christlichen Metropolen Europas »sturmreif« und öffnete damit dem »Islam« Tür und Tor.

Die plakative Gegenüberstellung von »Abendland« und »Islam« sowie von »christlichem Abendland« und Orient ist zwar ein Lieblingsideologem der (meist CDU-nahen) Politik, spiegelt aber die historische Realität nicht angemessen wider. – Ein Nährboden für Fremdenhetze.

Mathias Bäumel

(Dies ist kein wissenschaftlicher Text. Für seine Erstellung habe ich diverse frei zugängliche Quellen – so auch Wikipedia – benutzt. Einen Anspruch auf Urheberrecht erhebe ich nicht. Ich möchte damit auch zeigen, dass sich jeder mittels allgemein zugänglicher Quellen und ohne Fachwissenschaftler sein zu müssen kritisch mit der üblichen Meinungsmache auseinandersetzen kann.)